Die Schocknachricht der Woche für viele Eltern von Schulkindern war das Leseergebnis der Iglu- Studie: 25% der Viertklässler können nicht flüssig lesen. Eine zugegebenermaßen hohe Zahl, für viele Pädagogen allerdings überhaupt keine Überraschung. Viele Erwachsene hat es allerdings wachgerüttelt, viele Politiker und Autoren erst recht. Nun kommen die (häufig nicht durchdachten oder nur nicht praktisch durchdachten) Anforderungen von oben ohne über die weiteren Konsequenzen nachzudenken. Nun sollen Lehrer*innen sich von ihrer Unterrichtsstunde 10 Minuten Zeit nehmen, um mit den Schülern zu lesen. Tolle Idee, aber bei 29 Schülern schwer umzusetzen.
Wer ein wenig die Kommentare zu den Posts durchgelesen hat, hat gesehen, dass es ganz viele Vorschläge dabei waren, die durchaus auch tauglich gewesen wären. Einige auch gar nicht, aus wiederum anderen könnte man gute Ansätze entwickeln. Eine Userin setzte unter so einem Post nur : "Abschaffen müsste man die Anlauttabelle" ( sinngemäß und aus dem Gedächtnis zitiert). Meine Nachfrage beantwortete sie offenherzig mit: Die "Anlauttabelle ist das größtes Verbrechen an den Kindern". Ich wollte wissen, warum sie denkt. Sie offenbarte mir, dass ihr Kind mit der Anlauttabelle gequält wurde und es gar nichts gebracht hat.
Was ich in den Kommentaren auffällig fand, war die Verantwortungsfrage. Diese wurde nämlich lustig hin und her geschoben. Viele regten sich über die Schulen und Grundschulen auf: Die Arbeit wäre unterirdisch- sähe man dies ja an den Zahlen. Überhaupt, der Lehrauftrag läge bei den Schulen und die Lehrer werden so toll bezahlt, da könne man erwarten. dass sie den Kindern die Grundfähigkeiten beibringen.
Auf der anderen Seite wurden die Eltern in die Pflicht genommen. In vielen Elternhäusern würde kaum noch vorgelesen und die Eltern müssten da schon mitwirken. Ohne Üben entsteht kein Lesen und in der Schule kann gar nicht so viel geübt werden. Jeden Tag 10 Minuten wären Pflicht, damit eine flüssiges Lesen bewerkstelligt werden kann.
Oft wurde auch Corona in die Verantwortung genommen. Corona ist schuld. Die jetzigen Viertklässler sind aufgrund der Umstände damals, wo kein richtiger Unterricht stattfinden konnte, in dieser Lage gelandet. Eltern und Lehrer können doch dafür nichts. Leider ist dies so nicht richtig, denn es gibt auch viele Lehrer, die in den Kommentaren mitgeteilt haben, dass es auch in den höheren Klassen eine wenig ausgeprägte Lesefähigkeit gibt. Von flüssigem Lesen bei allen ganz zu schweigen. Wer also dieses Argument bringt, verschließt meiner Meinung nach die Augen von der Tatsache, dass diese Misere nicht erst seit Corona entstanden ist.
Fachleute wie Lehrer, Nachhilfekräfte und Erzieher, die an Schulen arbeiten- allgemein Pädagogen aller Art - fordern seit Jahren verschiedene Änderungen und Mitwirkungspflichten. Denn die Lesefähigkeit geht seit Jahren den Bach runter, um das mal so zu formulieren. Die eingekauften Nachhilfestunden steigen seit Jahren. In der Grundschule hat sich der Bedarf verzehnfacht. Als ich vor über 20 Jahren mit der Grundschulnachhilfe anfing, gab es nur vereinfacht Grundschüler und dann auch 3. und 4. Klässler, die Nachhilfe nehmen wollten, mussten oder sollten. Mittlerweile gibt es seit Jahren auch Nachhilfeschüler in der ersten und zweiten Klasse und die Anzahl in der 3. und 4. Klasse hat sich stark vergrößert. Laut londi.de hat jeder dritte Schüler Lernschwierigkeiten und von diesen Schülern bekommt rund jeder dritte eine Diagnose. Die ganze Misere soll sich in den nächsten Jahren laut Fachleuten noch mehr verschlimmern.
Die Frage ist nun, was kann man selber tun, um es bei den eigenen Kindern nicht dahin kommen zu lassen? Die Schule als System ist offensichtlich überfordert. Viele Lehrer- gerade Grundschullehrer*innen- geben wirklich ihr Bestes allen gerecht zu werden und ganz viele haben auch tolle Ideen, können aufgrund der Klassengröße nicht alles umsetzen, sind auch nur Menschen, die dann auch Privatleben haben wollen und brauchen und 25 % von den jetzigen Lehrern stehen kurz vor dem Burnout. Da kann es meiner Meinung nicht die Lösung sein, noch mehr von der Lehrerschaft zu erwarten vor allem in Form von Stundenerhöhung. Eine von vielen geforderte Lohnerhöhung bringt es unter den Umständen auch nicht. Geld allein macht schließlich auch nicht glücklich. Eine Anpassung an Gymnasiallehrer wäre meiner Meinung auch eine Möglichkeit, allerdings nicht mit der Bedinungung, dafür noch mehr zu leisten. Getreu dem altbekannten Motto- mehr Arbeit, mehr Geld. Also Anpassung ja, aber keine Mehr- Arbeit.
Kirsten Boie- die bekannte Autorin- fordert sogar ein ziemlich hohes Bildungsvermögen. Jetzt und sofort einsetzbar. Tolle Idee. Die Frage wäre nur, worin? Wohin sollte dieses Bildungsvermögen fließen? In die Anpassung der Gehälter, in die Schaffung von neuen Stellen ( wenn die alten Stellen noch nicht mal besetzt werden können?)
Meiner Meinung nach sollte ein Umdenken bei der Besetzung der Stellen in der Grundschule passieren und gerade für die erste und zweite Klassen müssen Erzieher mit in die Klassen. Am besten solche, die eine Zusatzausbildung als Integrative Lerntherapeutin haben und sich durch jahrelange Nachhilfe mit Erfolgen bei den Schülern bewährt haben. Solche, die einen Blick für die Schülerschaft haben und pädagogisch gebildet sind. Diese müssten 3/4 so gut bezahlt werden und eine klar definierte Aufgabenstellung haben: Sprachbildung und Sprachförderung. Diese Kräfte können dann zum Lesen üben eingesetzt werden.
Zudem möchte ich erwarten können, das Grundschullehrer*innen in Sachen Binnendifferenzierung ausgebildet werden und einen Blick für Schüler*innen haben, die z.B. aufgrund einer auditiven Wahrnehmungsstörung wie im obigen Beispiel bei der Tochter der zitierten Userin mit der Anlauttabelle nur schwer lesen lernen konnte. Nicht nur für diese Schüer*innen braucht es ein Angebote, aus denen sich die Schülerschaft ihre Leselernmethode raussuchen kann. Ich stelle mir so vor: Die erste und zweite Klasse wurde ja mal Schuleingangsphase genannt. Im Abstand von mehreren Monaten sollte die Schülerschaft verschiedene Angebote angeboten bekommen, mit denen lesen gelernt werden kann. Die Schüler können dann, falls es mit der vorherigen Methode nicht geklappt hat, mit der neuen Methode lesen lernen. Jeder Schüler*in kann frei wählen, mit welcher Methode er übt. Die einen werden dann bei der ersten vermittelten bleiben, die anderen werden dann bei der zweiten hängen bleiben usw. Es gibt verbindliche Lesezeiten, in denen jeder mit den vermittelten Methoden üben kann. Es gibt Lesepaten, die zuhören und auf Fehler hinweisen.
Um Lesefreude zu entwickeln, ist meiner Meinung nach allerdings auch die Mitarbeit zu Hause essentiell wichtig. 10 Minuten täglich vorlesen, später gemeinsam lesen ist eigentlich absolutes Minimum. Wenn tägliches Vorlesen, Lesen nicht geht, dann könnte man die Lesezeit wenigstens am Wochenende einplanen oder es sukzessive ausbauen. Übung macht den Meister.
Überhaupt können Eltern im Vorfeld schon viel tun, um Lesefreude bei ihren Kindern zu entwickeln. Mein Kurs für Vorschuleltern wird demnächst herauskommen. Er ist in den Endzügen. Er wird viel zum Thema "Lesefreude entwickeln" enthalten.
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